Dokumentationszentrum der Winklarner Hinterglasmalerei

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Im Jahr 1808 umfasste der Markt Winklarn 131 Wohnhäuser mit ca. 1000 Bewohnern sowie die Schlossanlage und die vom Baubestand in das Mittelalter zurückreichende Pfarrkirche. Seit 1803 gehörte der Ort zum Landgericht Neunburg vorm Wald, das 1828 dem Kreis Oberpfalz und Regensburg zugeteilt wurde.
   
Winklarn - alter Plan
    
Nach einem vernichtenden Brand 1822 musste der Ort praktisch völlig neu wiederaufgebaut werden. Dabei veränderte man die bauliche Struktur der Ortschaft grundlegend. Ganz damaligen städtebaulichen Kriterien entsprechend, wandelte man das ehedem sehr verwinkelte Gassengewirr in ein modernes Raster, auf dem Reißbrett geplant und mit rechtwinklig aneinanderstoßenden Straßen. Das Zentrum der gesamten Anlage, die heute noch erkennbar ist, bildete der Marktplatz, gesäumt von zweigeschossigen Traufseithäusern und der neuen Kirche als östlichem Abschluss. Mehrere Anwesen zeigen heute noch aufgrund ihrer Gebäudestruktur die einstige Verbindung von Landwirtschaft und Handwerk. Die Zahl der Einwohner nahm während des 19. Jahrhunderts durch Abwanderung – auch nach Übersee – stetig ab und betrug 1925 nur noch 752.
  
Ort Winklarn 1832
  
Das Grundstück, auf dem die Hinterglasmalerfamilie Ruff einst lebte und arbeitete, ist heute noch im Familienbesitz. Allerdings wurde das alte Anwesen abgerissen und durch ein zeitgemäßes schlichtes Wohnhaus ersetzt.
   
Handel und Vertrieb von Hinterglasbildern im 19. Jahrhundert
  • Eine ursprüngliche Form des Vertriebs von Hinterglasbildern war der "Handel über die Gasse"; dabei wurden die Bilder vom Maler selbst bzw. nahen Angehörigen direkt ab Werkstatt an Endkunden verkauft.
  • KraxenträgerSchon im frühen 19. Jahrhundert zogen Bilderträger und Hausierer (Kraxenträger), die zum Teil von weither stammten, durch die Lande. Sie kauften die Bilder bei den Malern und verhandelten sie auf eigene Rechnung weiter.
       
    Von größter Bedeutung für das östliche Bayern waren dabei sogenannte "Kötztinger Geistliche Warenhändler", Frauen und Männer aus Kolmstein und Neukirchen b. Hl. Blut (ehem. Landgericht Kötzting). Neben Hinterglasbildern verhausierten sie Galanterie-, Kurz-, Schnitt-, Woll-, Schuh- und Konditorwaren, Rosenkränze und Devotionalien sowie Federn und Gänse. Einen Teil der Waren, v. a. die weniger aufwändigen Devotionalien, fertigten sie selbst, einen anderen Teil kauften sie ein.
        
    Ungern von den bayerischen Hausierern gesehen waren die sogenannten "Kraner", fremde Hausierer aus der Gegend um Krain (Slowenien). Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts standen sie in Diensten der großen Hinterglasmalwerkstätten.
         
    Ein Verkauf von Bildern der in Winklarn ansässigen Maler durch Verleger und Hausierer ist anzunehmen, leider ist davon nur wenig eindeutig nachweisbar. Auf Geschäftsbeziehungen zwischen den "Kranern" und den Winklarner Malern könnte etwa die Bestellung deuten, die der Handelsmann Josef Bräker aus Krain im Jahre 1844 bei dem aus Winklarn stammenden und dort ausgebildeten Maler JOSEF WIESTNER tätigte. Bräker gab neben anderen Motiven "20 Arme-Seelen [Taferl] zu 3 kr [Kreuzer]" und "100 Arme-Seelen [-Taferl] zu 2 kr" in Auftrag.
  • Eine gehobene Klasse der Bilderverkäufer bildeten die "Standlkramer", Fieranten, die auf Jahr- und Wallfahrtsmärkten Hinterglasbilder verkauften.
  • Im ortsgebundenen Handel von Hinterglasbildern kam den Glasern große Bedeutung zu. Nicht zu vergessen sind auch die Dorfschreiner. Sie lieferten bei Hochzeiten die nötigen Möbel für den neuen Hausstand, häufig samt dem dazugehörigen Bilderschmuck. Auch die Winklarner nutzten diese Vertriebswege. Im Auftragsbüchlein von K.J. RUFF JUN. findet sich ganz zu Beginn für das Jahr 1905 der Eintrag: "Arme Seelentaferl Schreiner Dieterskirchen".

    Auf einer Postkarte wendet sich 1897 ein Michl Kick (evtl. ein Zwischenhändler) aus Amberg an Ruff mit der Bitte um Zusendung von vier Hinterglasbildern als Muster für einen Glaser (wohl Endverkäufer):

    "Herr Ruff. Ich ersuche sie schieken sie mihr so bald als mäglich 4 Stück. 2 Gelobt sei Jesus und 2 Armenselen Bilder weil ich die 4 Stick an einen Glaser als Muster schieken muß."
      
  • Der Großteil der Winklarner Bilder waren aber Auftragsbilder, die die Kunden direkt beim Maler bestellten und die von ihm individuell nach Wunsch angefertigt wurden. Als Auftragsbörse scheint der Winklarner "Andreas-Markt" am 30. November jeden Jahres eine herausragende Rolle für die Winterarbeit der Maler gespielt zu haben.

    "Früher war der 30. November in Winklarn ein Feiertag. An ihm wurde der Andreas-Markt, der Markt des Patrons der Winklarner Pfarrkirche, abgehalten, zu dem viele Besucher aus der näheren und weiteren Umgebung von Winklarn kamen. Hatten die Leute ihre Einkäufe getätigt, so kam manch einer zu uns. In der Küche, dem einzigen geheizten Raum im Haus, gaben sie dann beim Vater Hinterglasbilder in Auftrag, teilweise Votivbilder, teilweise Andachtsbilder z. B. für die Aussteuer (besonders oft Herz-Jesu- und Herz-Mariae-Bilder für den Herrgottswinkel). Wir Kinder durften bei schwerer Strafe keinen Laut von uns geben, solange der Besuch im Haus war. Hatte der Vater dann mehrere Aufträge erhalten, war er froh, denn damit war die Winterarbeit in sicheren Tüchern."
                                    (Lina Wellnhofer, Tochter von K.J. Ruff jun.)

Die heutige Verbreitung der Winklarner Hinterglasbilder
    
Heute ist sicherlich nur mehr ein Bruchteil der einst in Winklarn gefertigten Bilder erhalten, noch weniger sind bekannt. Aber in etlichen Wallfahrtskapellen der Region, wie auch in Privatsammlungen und Museen bis nach Würzburg, Dresden und Prag sowie in Oberbayern finden sich immer wieder Hinterglasgemälde der Winklarner Maler.
Es ist im Einzelnen nur in Ausnahmefällen feststellbar, wie sie an ihre jetzigen Aufenthaltsorte gelangten. Der größte Teil der noch existierenden Bilder sind Votivbilder. Dies findet seine Erklärung darin, dass dieser Bildtyp vor allem in den Wallfahrtskirchen vertreten war und dort erhalten blieb, während viele Andachtsbilder in den Privathaushalten als "altes Graffel" entsorgt wurden.

Durch die intensive Nachforschung des Arbeitskreises Winklarner Hinterglasmalschule konnten bereits etliche bislang unbekannte Bilder entdeckt werden. Die Hoffnung, weitere Winklarner Bilder zu finden, ist groß und auch berechtigt. Somit können wir ziemlich sicher sein, dass sich auch das Verbreitungsgebiet in Zukunft weiter verändern wird.
 
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