Dokumentationszentrum der Winklarner Hinterglasmalerei

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Die Entstehung regionaler Hinterglasmal-Schulen in und außerhalb des heutigen Bayern
Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an bildeten sich in verschiedenen ländlichen Gegenden Zentren für die Herstellung von Hinterglasbildern heraus. Der Grund dafür waren tiefgreifende Umwälzungen in Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch in den Frömmigkeitsvorstellungen der Menschen, die sowohl eine starke Nachfrage nach den Bildern wie auch günstige Produktionsvoraussetzungen entstehen ließen.
Frömmigkeitsgeschichtlicher Faktor (Nachfrage)
Als Gegenreaktion zur allgemeinen Verweltlichung und zunehmenden Technisierung erstarkte die Volksfrömmigkeit vor allem bei der bäuerlichen Bevölkerung auf dem Land. Typisch dafür waren die Stärkung der privaten häuslichen Andacht sowie die Entstehung zahlreicher Wallfahrten. Beides regte das Bedürfnis nach Anschaulichkeit des Religiösen und emotionaler Nähe zum Glauben an. Dieser Sehnsucht kamen Andachts- und Votivbilder sehr entgegen.
Wirtschaftlich-technischer Faktor (Produktion)
Durch die Technik des Malens nach Vorlagen konnten Hinterglasbilder relativ kostengünstig in Serie hergestellt werden. Somit wurde religiöse Kunst auch in individuell gestalteter Form für breitere Schichten der Bevölkerung erschwinglich.
Standortfaktor (Nachfrage und Produktion)
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche zwangen v. a. die Bevölkerung auf dem Land zu verstärktem Nebenerwerb. Die Hinterglasmalerei bot hier eine sehr gute saisonale Alternative. Die Malwerkstätten lagen häufig im Umfeld von Wallfahrtsorten und zugleich in der Nähe von Schleif- und Polierwerken, in denen das geschliffene und blank polierte Flachglas produziert wurde, das man als Malgrund benötigte.

Modell eines Polierwerkes

Meist wurde die Hinterglasmalerei in Familientradition betrieben und dabei die Technik innerhalb der Familie oder an Verwandte weitergegeben. Bedingt durch die Ausbildung und die Verwendung derselben Vorlagen (Risse) entstanden in diesen sogenannten "Schulen" über Jahre hinweg Bilder ähnlicher Malweise.
Die Winklarner Schule
Die Winklarner Glasmaler begannen in der Mitte des 18. Jahrhunderts mit ihrer Kunst. Nach heutiger Forschung bildeten über zwei bzw. drei Generationen hinweg Vertreter von sechs Familien die sogenannte Winklarner Schule:

ROTH/ROTT:
JOHANN WOLFGANG ROTT (1720/30 - ?); FRANZ XAVER ROTT (1730-1796); THOMAS AQUINUS ROTT (1766-1841)

RUFF/RUF:
KARL JOSEF RUF SEN. (1815-1896); KARL JOSEF RUF JUN. (1854-1915)

WELLNHOFER:
FRANZ XAVER WELLNHOFER (1829-1887); KARL WELLNHOFER (1859-1875); JOHANN WELLNHOFER (1866-1891)

EBNER:
[DAVID ?] EBNER (19. Jahrhundert)

WÜSTNER/WIESTNER:
JOSEPH WIESTNER (1807-1875)

SCHWAB:
GEORG SCHWAB (1870-1925)

Die Maler entstammten alle der Handwerkerschicht Winklarns und schufen Volkskunst, in der praktisch ausschließlich religiöse Themen zum Tragen kamen. Nachdem die Maler in der Regel eine handwerkliche Ausbildung erhielten, klassifiziert man die Kunstwerke als malerhandwerkliche Hinterglasbilder.
  
Kalktafel RuffZwar arbeiteten die Künstler die gesamte Zeit hindurch auch auf anderen Materialien (Stein, Leinwand, Blech, Papier) und zu anderen Genres, aber die Bedeutung der Hinterglasmalerei, die vor allem während des Winters ausgeführt wurde, nahm im Laufe der Zeit zu. Dennoch blieb sie immer zusätzlicher Erwerbszweig neben anderen Handwerken. So nennt sich KARL JOSEF RUFF SEN. neben "Glasmaler" in unterschiedlicher Weise auch “Maler, Vergolder, Anstreicher, Lakirer, Tapezirer“,d. h. neben seiner Hinterglasmal-Tätigkeit führte er alle Arbeiten aus, die heute vom Malerhandwerk erledigt werden. Für die Familie ROTT kennt man in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die Tätigkeit als Schreiner und Leinweber.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde v.a. bei den Andachtsbildern das Hinterglasbild durch Öldrucke und Lithographien immer mehr verdrängt. Diese Druckerzeugnisse konnten nämlich in großen Auflagen preiswert hergestellt werden. Dies zwang die Hinterglasmaler dazu, sich verstärkt wieder andere Erwerbsquellen zu erschließen. JOSEF WIESTNER stellte daraufhin bei seiner Gemeinde Schönstein einen Antrag für eine Konzession als "Maler und Vergolder":

"Die unterfertigte Gemeindeverwaltung bezeugt hiemit, daß die Subsistenz des Glasmalers Josef Wistner zu Schönstein durch die Glasmalerei früher hinlänglich gesichert war. Nachdem aber die lythographirten Bilder ihrer Wohlfeilheit wegen auch bei den Landleuten immer mehr Eingang fanden, nahm der Absatz der Glasmalerei der Art ab, daß Wistner gezwungen war, einen Nebenerwerbszweig zu ergreifen. Er beschäftigt sich daher schon seit mehreren Jahren mit Anstreichen von Holzarbeiten, Faßen und Vergolden von Kreutzen, Holzschnitten unsw. Aller Art, weßhalb er um Verleihung einer Conzeßion als Maler und Vergolder unterthänig bittet. Gemeindeverwaltung Schönstein am 11. April 1861."

Die Konkurrenz durch die billigeren Papierdrucke wurde für die Winklarner Hinterglasproduktion dadurch etwas abgemildert, dass hier von Anfang an Votivbilder am meisten nachgefragt wurden. Diese waren individuelle Einzelstücke, die auf persönliche Bestellung gefertigt wurden.
Regionale Verteilung der Hinterglasmal-Schulen
Schulen
Weitere Schulen, die – wie in Winklarn – zum Teil bis ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts Bestand hatten, kann man in folgenden Regionen lokalisieren:
  • In Oberbayern: in der Umgebung des Staffelsees (Oberammergau, Murnau, Seehausen)
  • Diesseits und jenseits der Grenze der Oberpfalz, Niederbayerns und Österreichs zu Böhmen:
  • Sandl-Buchers, Sandl im Österreichischen, Buchers (Pohori na Sumave) und Heilbrunn (Hojna Voda) in Böhmen.
  • Raimundsreut am Südhang des Lusen-Massivs gelegen, mit den Ablegern in Oberanschiessing, Guglöd und Schönstein /Außergefild (Kvilda)
  • Haibühl bei Lam und Neukirchen beim Hl. Blut am Hohen Bogen / Bayereck und
  • Winklarn/Neumark sowie Haberspirk (Habartov) bei Eger (Cheb).